Wie alles begann…

Der Schüleraustausch des FLG Bamberg mit dem Partnergymnasium Mátyás-Király in Fonyód/Ungarn besteht bereits seit 1983 (damals mit einer Sondergenehmigung des Bayerischen Kultusministeriums), jener mit den Gymnasien Ady-Endre und Emanuele-Gojdu in Rumänien seit 1991. Beide wurden bis 2010 jährlich, seit 2010 in zweijährigem Turnus durchgeführt. StD Helmut Dütsch (1942-2002) hat diese Kontakte hergestellt und mit großem persönlichen Engagement und Einsatz bis zu seinem überraschenden Tod organisiert, begleitet und gefördert. Mehr als 2000 Schüler aus den drei Ländern nahmen im Laufe der Jahre an diesem trinationalen Schüleraustausch teil und wurden dabei 33 Jahre lang sicher von Alois Hoh in dessen Bus durch Mittel-/Ost-Europa chauffiert.

Unser Ziel: Gelebte Völkerverständigung – auch nach der Europäischen Wende
Stand in der ersten Phase (1983-90) noch die Absicht im Vordergrund, über den Eisernen Vorhang Kontakte in eine „fremde Welt“ zu knüpfen und so einen Beitrag zur Entspannungspolitik zu leisten bzw. vertrauensbildende Maßnahmen zu vertiefen, trat nach den schrecklichen Enthüllungen über die katastrophalen Lebensbedingungen in den rumänischen Waisenhäusern (aber nicht nur dort) nach der Revolution im Dezember 1989 der Aspekt des sozialen Engagements in den Vordergrund.
Parallel zur Erweiterung des Schüleraustauschs um die beiden Schulen in Oradea/Rumänien im Schuljahr 1990/91 wurde auch die Bamberger Rumänien-hilfe „Aktion Brückenschlag“ (1990-2010) von Helmut Dütsch gegründet, der beide Projekte miteinander verzahnte. So fuhren jedes Jahr in der Karwoche Schüler und Lehrer aus dem FLG mit nach Oradea, um dort Hilfsgüter zu verteilen. Eine enge Zusammenarbeit mit der Caritas Catolica Oradea während des Aufenthaltes der deutschen Schüler vor Ort wurde fester Programmpunkt. Immer wieder fokussierte sich der Blick auf einzelne Hilfsprogramme – z.B. bei dem großen Spendenlauf für die an PKU erkrankten Kinder im Kreis Bihor (2003/04), bei dem die Schüler des FLG über 13.000 Euro erliefen.
Zuletzt traten politische Projekte in den Vordergrund, was auch an der EU-Mitgliedschaft von Ungarn (2004) und Rumänien (2007) lag. Ob Fremdenfeindlichkeit oder Flüchtlingsaufnahme – bewusst wurden „heiße Eisen“ angefasst, wenn es darum ging, unterschiedliche Wahrnehmungen zu vergleichen und dabei Vorurteile und Ängste abzubauen. Vor allem aber waren seit Beginn der 2000er Jahre Projektvorhaben obligatorisch für eine Bezuschussung.

Gemeinsam für ein friedliches und soziales Europa arbeiten

Thematisch gab es stets viele und reizvolle Ideen – von der Unterstützung an PKU erkrankter Kinder über die Wahrnehmung der eigenen Nation im Ausland („Ihr bei uns – wir bei euch“) oder die Vorstellung der Heimatregion („Meine Lieblingsorte“) bis hin zu schwierigen historischen Themen („Der Holocaust in Deutschland, Ungarn und Rumänien“) oder aktuellen politischen Fragestellungen („Antiziganismus im europäischen Kontext“). Die Projektvorbereitung führte bereits im Vorfeld des Austausches zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Partnerländern Rumänien und Ungarn, aber auch immer wieder zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit verschiedenen Schulfächern, z. B. im Rahmen des Geschichte-Sozialkunde-Projekts (zum Thema „Migration“), das am FLG für alle Zehntklässler verbindlich vorgeschrieben ist. Auch literarische Akzente konnten gesetzt werden, so im Jahr 2006, als es am FLG einen gemeinsamen „Kleinen literarischen Salon“ zu den Dichtern Erich Kästner, Jozéf Attilá und Mihail Eminescu gab. Im Rahmen des Wettbewerbs des Bayerischen Kultusministeriums „Europa im Karpatenbogen“ (2008/09) wurde der damalige Projektbeitrag des FLG „Unser Siebenbürgen“ (über die Kooperation des FLG mit dem „Deutschen Forum Oradea“ und dem deutsch-rumänischen Stadtplanungsbüro „Planwerk“ in Cluj) mit einem Preis ausgezeichnet.

2014 wurde die Thematik „Antiziganismus im europäischen Kontext“ als Rahmenthema von deutscher Seite vorgeschlagen. Bezugnehmend auf die in Deutschland losgetretene Debatte zu den Konsequenzen einer vollen Freizügigkeit der rumänischen Arbeitnehmer innerhalb der EU haben die Schüler der damals teilnehmenden Klasse 10e am FLG selber Interesse an dieser Thematik bekundet. Im Fokus standen dabei von Anfang an die Sinti und Roma, die in Bamberg als Straßenmusikanten eine erhebliche Präsenz gewonnen hatten. Die Schüler der 10e bereiteten in Gruppenarbeit Vorträge zu verschiedenen Aspekten dieser Thematik für die Geschichte-Sozialkunde-Projekttage am FLG Ende Januar 2014 vor: Die Vorträge wurden für den Austausch optimiert und abermals gehalten. Die Gäste aus Rumänien erweiterten die Präsentationen um die eigene, rumänische Perspektive. So dokumentierte eine deutsche Gruppe das Schicksal einer Berliner Roma-Familie, die in den Medien dargestellt worden war, während eine rumänische Gruppe von einem (missglückten) Experiment der Stadtverwaltung Oradea berichtete, Roma im Stadtzentrum „anzusiedeln“. Wenig wussten die rumänischen Gäste von der Beteiligung des Regimes von Marschall Antonescu am Holocaust im Zweiten Weltkrieg, dem auch viele rumänische Roma zum Opfer fielen. Umgekehrt informierte die ungarische Gruppe von der gegenwärtigen Agitation der „Jobbik“-Partei gegen Roma in Ungarn. Höhepunkt des Projektes war aber gewiss das Treffen der Schüler mit politischen Vertretern der Roma in den Gebäuden der Caritas Oradea im Rahmen ihres Gegenbesuches in Rumänien.

Barrieren abbauen, Freunde gewinnen

Wie besonders und einzigartig unser trinationaler Austausch tatsächlich ist, zeigt am eindrucksvollsten unser Programm.

Für die Gruppen aus Fonyód und Oradea, die sich meist zuerst in Bamberg aufhalten, stehen folgende Aktivitäten im Mittelpunkt:

  • Offizielle Empfänge (der Stadt Bamberg, des Franz-Ludwig-Gymnasiums)
  • Empfang im Bayerischen Landtag
  • Unterrichtsbesuche bzw. Teilnahme an Projekten am Franz-Ludwig-Gymnasium
  • Ausflüge (München, Nürnberg, Weimar, Fränkische Schweiz)
  • Sportliche Aktivitäten (Fußballturnier; Wandern in der Fränkischen Schweiz)
  • Historische Aktivitäten (z.B. Parteitagsgelände und Dokumentationszentrum Nürnberg, Gedenkstätte Buchenwald oder Dachau)
  • Kulturelle Aktivitäten (Deutsches Museum München; Stadtführungen in Nürnberg und Weimar)

Gemeinsame künstlerisch-kreativen Aktivitäten waren u.a.

  • die (alljährlich neue) Gestaltung eines Austausch-T-Shirts,
  • die Herstellung von speziell für den Austausch konzipierter Keramik (z.B. ein kunstvoller gläserner Austauschanhänger aus Oradea oder gebrannte und kolorierte „Austausch-Bierkrüge“),
  • die gemeinsame Gestaltung eines Austausch-Gesangbuches oder
  • die Konzeption und Durchführung von Jubiläumsveranstaltungen (z.B. 2000, 2007, 2010) mit musikalischen und schauspielerischen Beiträgen.

Die Gruppen aus Bamberg und Oradea, die sich im Anschluss in Fonyod aufhalten erwarten folgende Programmpunkte:

  • Offizielle Empfänge (Mátyás Király Gymnasium Fonyód, Stadt Fonyód)
  • Kulturelle Aktivitäten (Ausflug nach Pécs – Kulturhauptstadt Europas 2010)
  • Historische Programmpunkte (z.B. Besuch der Gedenkstätte „20-Jahre Grenzöffnung durch Ungarn“; Besuch eines rekonstruierten ungarischen Dorfes aus der Völkerwanderungszeit)
  • Interreligiöse Begegnungen (Synagoge in Sopron, Moschee in Pécs, Hare-Krishna-Tempel in Krisnavölgy)
  • Sportliche Aktivitäten (Segeln, Kanufahren, Schwimmen, Volleyball- und Fußballspiel am Balaton)
  • Folkloristische Programmpunkte (z.B. Besuch eines ungarischen Weingutes)

Die deutsche Gruppe erlebt in Rumänien u.a. diese Programmpunkte:

  • Empfang im Ady-Endre-Gymnasium
  • Aktivitäten zur Unterstützung von deutschen Minderheiten: Besuch des Deutschen Forums in Oradea, Besuch des Deutschen Forums in Neu-Palota
  • Fahrt nach Cluj und Besuch des deutsch-rumänischen Architekturbüros „Planwerk“
  • Sportliche Aktivitäten: traditionelles Fussballspiel gegen Neu-Palotta, Wandern in den Karpaten
  • Übernachtung in der Skihütte des Ady-Gymnasiums in den Westkarpaten (Ariesenni)
  • Besuch der Synagoge in Oradea
  • Empfang beim Bürgermeister im Rathaus von Oradea

Lange Jahre war auch eine Nachfahrt mit dem Zug nach Bukarest und ein eintägiger Besuch der rumänischen Hauptstadt fester Programmbestandteil.

Die letzten drei bis vier Tage verbringt die deutsche Gruppe auf ihrem Heimweg stets in Budapest, wo die Schüler in einem Kollégium untergebracht sind. Dabei genießen sie folgende Programmpunkte:

  • Besuche von Fischerbastei, Matthiaskirche, Burg, Gellertberg auf der Buda-Seite, Stefansdom, Heldenplatz, Synagoge auf der Pest-Seite usw.
  • Führung im ungarischen Parlament
  • Besondere Aktivitäten wie ein Besuch in der Deutschen Botschaft oder an der Deutschen Schule in Budapest
  • Besuch im „Haus des Terrors“
  • Fahrt zum Donauknie, Besuch von Esztragom und Visegrad
  • Visite auf dem großen Flohmarkt am Rande von Budapest
  • Nächtliche Donauschifffahrt durch Budapest
  • Führung durch das (frühere) jüdische Viertel von Budapest

Wie verständigen wir uns?

Da in Fonyód Deutsch als erweiterte Fremdsprache gelehrt wird, gab es früher kaum Kommunikationsprobleme; auch die rumänischen Schülerinnen und Schüler aus den beiden am Austausch beteiligten Gymnasien in Oradea/Großwardein verfügten über solide Deutschkenntnisse. Allerdings war im Laufe der Jahre eine Verschlechterung in der Beherrschung der deutschen Sprache im Vergleich zu früher festzustellen. Dies liegt daran, dass in Fonyód die Anzahl der deutschlernenden Schüler erheblich zurückgeht. In Rumänien ist das gesenkte Unterrichtsvolumen für die Fremdsprache Deutsch (nunmehr nur noch 2 Wochenstunden) spürbar geworden. Umso intensiver tritt das Englische als Mittel einer gruppenübergreifenden Verständigung hervor.

Prädikat: besonders wertvoll

Seit 1983/1991 waren die Partnerschaften fester Bestandteil des Schullebens an allen beteiligten Gymnasien und wurden von den beteiligten Lehrerkollegien überwiegend begeistert mitgetragen. Einmütig wurde immer wieder von den ungarischen und rumänischen Gästen festgehalten, dass die gemeinsam verbrachten Tage hier und in deren Heimatländern viel dazu beigetragen haben, die Menschen aus den drei Nationen einander näher zu bringen und Respekt vor ihren Leistungen sowie Einsichten in ihre heutigen (ökonomischen und sozialen) Probleme zu vermitteln. Diese Aufgabe scheint in Zeiten globaler Krisen, europäischer Zerwürfnisse und aufkeimender autoritärer Regierungsstile wichtiger denn je zu sein. Zudem zeigen sich alle Teilnehmer beeindruckt von der überwältigenden Gastfreundschaft in den jeweiligen Gastfamilien, die oft jahrelang bestehende Kontakte zur Folge hat.
Der älteste bayerische Austausch sowohl mit einem ungarischen als auch mit einem rumänischen Gymnasium (und zugleich der deutschlandweit in dieser Form einzige trinationale Austausch) hat viel zum Profil des Franz-Ludwig-Gymnasiums Bamberg als einer weltoffenen, sozial engagierten und sprachlich-humanistisch geprägten Schule beigetragen.

Jens-Peter Kurzella; (Mit-)Organisator des trinationalen Austauschs am FLG seit 1999 (mit vermutlich einigen tausend unbezahlten Überstunden)