Zum 35. Jahrestag des Mauerfalls – eine Kurzgeschichte von Charlotte Linz (Klasse 6)
Am 9. November feiern wir den 35. Jahrestag des Mauerfalls. Dieses Ereignis bewegte Menschen auf der ganzen Welt und steht symbolisch für das Ende der deutsch-deutschen Teilung.
Vor 35 Jahren brachten mutige Menschen die Berliner Mauer zu Fall und kurz darauf die SED-Diktatur. Aus anfangs Wenigen wurden im Sommer und Herbst 1989 Tausende, die friedlich für demokratische Reformen und Grundrechte in der DDR eintraten. Jedoch sind Freiheit und Demokratie auch heute keine Selbstverständlichkeit und müssen von uns gemeinsam verteidigt werden. Deshalb lautet das Motto des Jubiläums: Haltet die Freiheit hoch! www.mauerfall35.berlin
Stacheldraht, wohin das Auge reicht
Wir befinden uns am 12. August 1961:
Ich bin Anna und war gerade 12 geworden. Ich komme aus Berlin und neben mir sitzt gerade meine beste Freundin Rosa. Wir haben schon im Kindergarten und im Sandkasten zusammengespielt. Und in der Schule auf dem Pausenhof. Wir waren schon immer in der gleichen Klasse und sind es noch. Wir sind wie Nachbarn. Sie wohnt in der Eisenstraße 16 und ich in der Eisenstraße 13.
Wir spielen in meinem Zimmer Friseur, als es an die Türe klopft. Rosa und ich öffnen die Tür. Davor steht Rosas Vater.
„Hallo Vater“, sagt Rosa.
Ihr Vater sagt: „Rosi, es ist schon spät. Wir müssen nach Hause.“
Wir verabschieden und umarmen uns.
„Bis morgen!“, rufe ich Rosa hinterher.
Der 13. August 1961:
Ich habe schlecht geschlafen. Über Nacht gab es draußen einen gehörigen Krach. Ich freue mich schon, weil mich Rosa heute schon um 9 Uhr statt um 10 Uhr besuchen kommt. Wir wollen noch das Sommerfest vorbereiten. Doch es ist schon 9:30 Uhr und sie ist immer noch nicht da. Vielleicht treffen wir uns ja doch bei ihr?
Ich laufe nach draußen…und erschrecke: direkt neben unserem Grundstück führt ein Stacheldrahtzaun vorbei. Er ist mindestens 2 Meter hoch. Ich schaue am Zaun entlang. Es sieht aus, als würde der Zaun nie enden. Und er trennt mich und Rosa. Dann sehe ich Rosa. Meine beste Freundin rennt auf den Zaun zu. Sie hat Tränen in den Augen. Ich beginne ebenfalls zu weinen.
„Was soll der Zaun? Wofür ist er da?“, denke ich.
Wir verstehen nicht, warum er uns trennt. Rosa und ich stehen mindestens 2 Stunden an dem Zaun und sprechen miteinander. Immer wieder weinen wir erneut. Um 12 Uhr ruft mich meine Mutter, es gibt Mittagessen. Ich verabschiede mich wieder von Rosa.
Mein großer Buder Willibald sitzt vor unserem Fernseher und schaut Nachrichten. Ich setzte mich dazu.
Der Sprecher erzählt: „Viele Menschen merken wohl schon, dass es jetzt zwei Berlin gibt. Auch ganz Deutschland wird getrennt.
Sie leben nun in der DDR und dieser Sender heißt nun auch DDR-Fernsehen. Der andere Teil von Berlin gehört zur BRD. Und nun geht es weiter mit dem Wetter…“ Erneut fließen mir die Tränen über die Wangen. Dann setzen wir uns an den Mittagstisch. Es gibt wie jeden Sonntag Braten mit Kloß.
Eigentlich ist es mein Lieblingsessen, doch heute schmeckt es mir nicht wirklich. Dann gehe ich in mein Zimmer und komme für den Rest des Tages nicht mehr heraus. Irgendwann kommt meine Mutter herein und sagt: „Anna, du hast ja den Zaun schon bemerkt…“ So tröstet sie mich.
Es ist der 22. Februar 1962:
Die Mauer ist nun fast fertig. Ich habe Rosa seit fast einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Ich hoffe, dass es ihr gut geht.
Der 9. November 1989:
Heute ist mein großer Bruder Willibald zu Besuch. Er sitzt vor meinem Fernseher und schaut im DDR-Fernsehen Nachrichten. Dort sagt das Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, dass die Grenzen geöffnet werden. Auf die Frage wann, antwortet Schabowski: „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“
Wir denken, wir hören nicht richtig. Als wir wenig später nach draußen laufen, sehen wir, dass die ersten Menschen schon über die Grenze laufen. Wir fallen uns alle in die Arme.
Ein paar Tage später…:
Mittlerweile gehen immer mehr DDR-Bewohner in den Westen, um einzukaufen. So auch ich.
Ich stöbere im KDW (Kaufhaus des Westens) am Wühltisch. Als ich ein paar Sachen zusammen habe, gehe ich an die Kasse. Die Kundin vor mir kommt mir irgendwie bekannt vor. Ihre gelockten, braunen Haare erinnern mich an jemanden.
Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Als wir beide fertig mit Abkassieren und auf dem Weg nach draußen sind, spreche ich sie an: „Entschuldigen Sie. Sie kommen mir bekannt vor. Heißen Sie zufällig Rosa Zimmerlein?“
Die Frau sieht mich an. „Ja“, sagt sie hart und läuft weiter.
Doch dann bleibt sie stehen. Sie dreht sich um und sieht mich erstaunt an.
„Ich heiße zwar nicht mehr Zimmerlein … ANNA, bist du das?“, ruft sie.
„Ja, ich bin‘s!“ Wir laufen aufeinander zu und fallen uns in die Arme.
Ich habe mich nicht geirrt – es ist Rosa, meine Freundin aus Kindertagen. Sie hat sich kaum verändert. Ihre Haare, ihre Figur, ja selbst ihre Frisur ist gleichgeblieben.
Rosa kommt gleich mit zu mir nach Hause. Schließlich wohnen wir ja fast nebeneinander. Wir trinken Tee und finden heraus, dass wir zwei gleichaltrige Kinder haben. Ich habe Hannelore und sie hat einen Georg.
Wir sind überglücklich und nichts und niemand kann uns mehr trennen.
Charlotte Linz (Klasse 6)
Illustrationen: Lara Wünschel (Q12)
Hier die illustrierte Geschichte als pdf zum Ausdrucken
Short Story zum Mauerfall von Charlotte Linz -11 Jahre-FLG
Stiftung Berliner Mauer zum 35, Jahrestag des Mauerfalls
https://www.stiftung-berliner-mauer.de/de/35jahremauerfall
Webseite zu 35 Jahre Mauerfall
https://www.mauerfall35.berlin/